Zwischen Begeisterung und Besorgnis wirft die KI im Hochschulbereich zahlreiche Fragen auf. Das Buch «Bildung auf dem Prüfstand der Künstlichen Intelligenz» bietet eine nuancierte Betrachtung des Phänomens anhand von Fallstudien und konkreten Experimenten. Ein Gespräch mit Ambroise Baillifard und Henrietta Carbonel (EDUDL+, FernUni Schweiz), die das Werk gemeinsam herausgegeben haben.

KI und Bildung – widersprechen sich diese beiden Themen nicht?

Das Bildungswesen war schon immer technikbegeistert. Denken Sie an Overheadprojektoren, das Internet oder Videokonferenzen. Ausserdem gibt es Forschung zur KI in der Bildung (AIED – Artificial Intelligence in Education) bereits seit über 50 Jahren. Doch erst in den 2010er-Jahren nahm die personalisierte Lernunter-stützung durch KI richtig Fahrt auf. Khan Academy beispielsweise nutzte grosse Mengen an Lerndaten, um Inhalte individuell anzupassen.

Neu ist, dass die heute am häufigsten genutzten Werkzeuge – ChatGPT, Copilot, Gemini und andere – nicht speziell für den Bildungsbereich entwickelt wurden. Dennoch halten sie im grossen Stil Einzug in die Klassen-zimmer – oft ohne klare Richtlinien oder Aufsicht.

Warum haben Sie sich entschieden, das Thema KI speziell im Bildungskontext zu behandeln?

Dem Thema kann man sich kaum entziehen, denn die generative KI dringt überall ein – ob man will oder nicht. Sie betreibt Suchmaschinen, sortiert unsere E-Mails, korrigiert Texte, empfiehlt Inhalte und sagt unser Verhalten voraus.

Das Bildungswesen steht dabei besonders unter Druck, weil der Einsatz generativer KI das Lernen beeinträchtigen kann. Hinzu kommt, dass ihre Allgegenwart oft unsichtbar bleibt. In vielen Fällen lässt sich der Beitrag eines KI-Werkzeugs zu einer studentischen Arbeit kaum zuverlässig erkennen. Manche Institutionen erwägen daher, die Kontrollmechanismen zu verschärfen – um den Preis einer «Pädagogik des Misstrauens», die dem auf Vertrauen und Verantwortung beruhenden Bildungsansatz widerspricht.

Man erkennt schnell, dass einfache Antworten wie «erlauben oder verbieten» nicht funktionieren. Man kann keine Praktiken zulassen, die das Lernen und die kognitive Entwicklung schwächen. Aber man kann auch nicht verbieten, was ohnehin allgegenwärtig ist. Lehrende und Entscheidungsträger müssen hier einen Balanceakt vollziehen.

Zwischen Begeisterten und Skeptikern – wer hat die besseren Argumente?

Im Bildungsbereich hängt vieles davon ab, wie, für welches Lernen und in welchem Kontext Künstliche Intelligenz eingesetzt wird. Nehmen wir ChatGPT – das derzeit am häufigsten genutzte Werkzeug. Als wahres «Cyber-Schweizer Taschenmesser» verspricht es unzählige Anwendungsmöglichkeiten. Ursprünglich entwickelt, um menschliche Gespräche zu simulieren, kann es Texte zusammenfassen, übersetzen, Feedback geben, Übungen erstellen, Fragen zu einem Kurs beantworten, Hausaufgaben lösen, Code schreiben oder fiktive Da-ten generieren.

Einige dieser Anwendungen können in bestimmten Kontexten förderlich, andere eher problematisch sein. Wie beim Taschenmesser gilt: ChatGPT ist weder gut noch schlecht an sich. Aus pädagogischer Sicht hängt Lob oder Skepsis allein davon ab, worauf man den Blick richtet.

Ist der Studierende dazu verdammt, sich auf seinen Lorbeeren auszuruhen?

Nur, wenn man das will. «Verdammt sein» oder «dazu bestimmt sein» bedeutet, keine Wahl zu haben – doch das ist hier nicht der Fall. Niemand ist gezwungen, sich auf seinen Lorbeeren auszuruhen. Lernen ist anstrengend: Man wird nicht Jurist, Ärztin oder Mathematikerin, ohne sich über lange Zeit hinweg intensiv in die Kompetenzen des eigenen Fachs einzuarbeiten.

Künstliche Intelligenz kann als Hebel dienen, um effizienter zu lernen. Wird sie jedoch als Ersatz für Anstrengung genutzt, verkümmert der Lernprozess – und die Perspektiven trüben sich ein. Die Mehrheit unserer Studierenden will wirklich lernen; wir müssen sie dabei unterstützen, generative KI sinnvoll und reflektiert einzusetzen.

Über das Buch

«Bildung auf dem Prüfstand der Künstlichen Intelligenz» untersucht, wie KI das Hochschulwesen verändert – von der automatisierten Erstellung von Prüfungen über personalisierte Lernunterstützung bis hin zu neuen Formen der Lehr- und Lerngestaltung. Die Autoren analysieren die konkreten Auswirkungen auf Studierende, Lehrende und Institutionen. Welche Praktiken verändern sich und welche Widerstände treten auf? Welche Regulierungen sollten eingeführt werden? Das Buch richtet sich an Lehrende, Forschende, pädagogische Verantwortliche und akademische Entscheidungsträger und bietet Orientierungspunkte, um die durchdachte Integration von KI in die Bildungswelt zu verstehen und zu begleiten.

Kostenfreier Open-Access-Zugang zum Buch  

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