La Justice militaire sous la loupe

Über 2'000 Strafverfahren werden jĂ€hrlich von den militĂ€rischen Instanzen eingeleitet. Die Schweizer MilitĂ€rjustiz, die 2018 ihr 180. JubilĂ€um feierte, ist der Öffentlichkeit und den «zivilen» Juristinnen und Juristen, die ihren Beruf selten im Rahmen von Verhandlungen vor MilitĂ€rgerichten ausĂŒben, allerdings immer noch recht unbekannt. Mit Veröffentlichungen und einem Kommentarprojekt zum MilitĂ€rstrafprozess wird versucht, dieser Tendenz entgegenzuwirken und die Rechte der Parteien im MilitĂ€rprozess zu stĂ€rken, indem ein grösseres VerstĂ€ndnis der Gesetze in diesem Bereich gefördert wird.

Eine althergebrachte Justiz

Die MilitĂ€rjustiz ist eine traditionelle Institution, die in vielen LĂ€ndern aufrechterhalten wird, in erster Linie um die Anforderungen im Zusammenhang mit der militĂ€rischen AktivitĂ€t sowie mit der zunehmenden KomplexitĂ€t und Spezialisierung in verschiedenen Bereichen der Verteidigung zu erfĂŒllen. Auch wenn die Existenz der MilitĂ€rjustiz hĂ€ufig in den Mittelpunkt der politischen Debatte gestellt wird, wurde sie nie vom EuropĂ€ischen Gerichtshof fĂŒr Menschenrechte angefochten, sofern das eingefĂŒhrte System von allen im internationalen Recht vorgesehenen Verfahrensgarantien begleitet wird.

Ausgenommen von den BemĂŒhungen zur Vereinheitlichung der 29 Strafprozessgesetze in der Schweiz, die zum Inkrafttreten der Schweizer Strafprozessordnung am 1. Januar 2011 gefĂŒhrt haben, hat der MilitĂ€rstrafprozess von 1977 (seit 1. Januar 1980 in Kraft!) nicht das gewĂŒnschte «Lifting» erhalten. Seine Schwachstellen und LĂŒcken machen seine Anwendung und das Verstehen der Regelungen der MilitĂ€rjustiz schwierig und zwingen die Justizbehörden (und die Parteien), auf Auslegungen und Analogien zurĂŒckzugreifen. Sicherlich haben die Reorganisation der MilitĂ€rjustiz (2018) und die Reform der Rechte der GeschĂ€digten (2019) die strukturelle UnabhĂ€ngigkeit der Strafverfolgungsbehörden sichergestellt und die Rechte der GeschĂ€digten im MilitĂ€rprozess deutlich gestĂ€rkt, allerdings konnten diese beiden Revisionen die zahlreichen verbliebenen normativen und textuellen LĂŒcken nicht beseitigen. Leider scheint eine Modernisierung des MilitĂ€rgesetzes auf die lange Bank geschoben worden zu sein.

Eine progressive Unterordnung unter ein spezielles Rechtssystem

In Anwendung des Grundsatzes der Notwendigkeit beruht die Unterordnung unter das MilitĂ€rstrafrecht auf der Existenz eines ĂŒberwiegenden Interesses (geordneter Dienstbetrieb, Schutz der MilitĂ€rinstitution, nationale Verteidigung und Sicherheit des Landes usw.). In Friedenszeiten sind es in erster Linie die Mitglieder der Schweizer Armee (2020 waren es 143`372 Personen) und in bestimmten FĂ€llen Zivilistinnen und Zivilisten, die eng mit der Institution zusammenarbeiten (Personal, Fachleute usw.) oder an einem Vergehen beteiligt sind, das ein militĂ€risches Interesse betrifft, die vor MilitĂ€rgerichte gestellt werden. In Kriegszeiten können Straftaten, die in diesem Zeitraum erfolgen, von jedem begangen werden. Das Schweizer System richtet stĂ€ndige und nicht stĂ€ndige Gerichte mit spezialisierten Richterinnen und Richtern ein, die in erster Linie in der Miliz tĂ€tig sind, in der Schweiz und im Ausland. Die Strafverfolgungsbehörden sind gemĂ€ss dem zweistufigen Modell der Untersuchungsrichterin oder des Untersuchungsrichters (unabhĂ€ngig von den Parteien und der Anklage) und der AnklĂ€gerin oder des AnklĂ€gers (Auditorin oder Auditor) organisiert. Im Gegensatz zum System der Common Law-LĂ€nder begrenzt die Schweiz die Rolle der Truppenkommandantinnen und -kommandanten auf die Aufdeckung und Anzeige von MissstĂ€nden; d. h., sie greifen daher weder in die Beweisaufnahme ein, noch erheben sie Anklage, vorbehaltlich ihrer Vorrechte im Disziplinarbereich.

Immer mehr Zivilistinnen und Zivilisten im MilitÀrprozess

Die Rechte der GeschĂ€digten, d. h. von Personen, die direkt von einer Straftat betroffen sind, sind seit dem Inkrafttreten des Opferhilfegesetzes (OHG) 1993 immer weiter ausgeweitet worden. Die Bestimmungen der Schweizer Strafprozessordnung haben ihre Position gestĂ€rkt, insbesondere mit der Möglichkeit, als PrivatklĂ€gerin oder -klĂ€ger aufzutreten und sich auf diese Weise aktiv wĂ€hrend des Strafverfahrens einzubringen. Die Änderung des MilitĂ€rstrafprozesses im 2019 hat die Rechte der GeschĂ€digten und Opferangehörigen deutlich ausgeweitet und die Harmonisierung der militĂ€rischen und zivilen Gerichtsbarkeit ermöglicht. Da es in nahezu 70 % der Verfahren um Dienstpflichtverstösse geht, steigt die Zahl der Zivilistinnen und Zivilisten, die am MilitĂ€rprozess beteiligt sind (Beschuldigte, Verteidiger/innen und zukĂŒnftig PrivatklĂ€ger/innen und RechtsbeistĂ€nde), beispielsweise im Falle von VerkehrsunfĂ€llen, UnfĂ€llen wĂ€hrend einer Übung, körperlichen Auseinandersetzungen oder SachbeschĂ€digung. DarĂŒber hinaus können Zivilistinnen und Zivilisten, da das MilitĂ€rgesetz im Falle eines Todes oder von bedeutenden SchĂ€den am Vermögen eine Eröffnung eines Ermittlungsverfahrens vorsieht, von bestimmten Rechten Gebrauch machen, selbst wenn keine Straftat begangen wurde. Es ist daher ĂŒberaus wichtig, dass Personen, die sich nicht so gut im MilitĂ€rbereich auskennen, die ZusammenhĂ€nge und UmstĂ€nde verstehen.

Die Kunst des Krieges in den GerichtssÀlen

FĂŒr Sun Tzu besteht die Kunst des Krieges in der Vorbereitung und der QualitĂ€t der eingeholten Informationen: «Wenn du dich und den Feind kennst, brauchst du den Ausgang von hundert Schlachten nicht zu fĂŒrchten; wenn du dich selbst kennst, doch nicht den Feind, wirst du fĂŒr jeden Sieg, den du erringst, eine Niederlage erleiden [...]». Wenn man den Vergleich zwischen MilitĂ€rgerichtssĂ€len und Schlachtfeldern nicht scheut, kann ein gĂŒnstiger Ausgang eines gerichtlichen Schlagabtauschs von der Beherrschung der Feinheiten eines Gesetzes abhĂ€ngen. Wenn der MilitĂ€rstrafprozess die GrundsĂ€tze des internationalen Rechts einhĂ€lt, dĂŒrfen seine Regeln von denen des Zivilprozesses abweichen und daher auch vom Grundsatz der Einheit von Strafverfahren. Das Verstehen der Herausforderungen des MilitĂ€rprozesses ist selbstverstĂ€ndlich wichtig, um die EffektivitĂ€t der Rechte jeder Partei und so auch die Waffengleichheit zu garantieren. Doch vor allem kann, abgesehen von Sieg oder Niederlage vor Gericht, nur dann das GefĂŒhl sichergestellt werden, dass der Gerechtigkeit GenĂŒge getan wurde, wenn man versteht, was wĂ€hrend des MilitĂ€rstrafprozesses vor sich geht.

Zum Beitrag (auf Französisch)

 

ProjektĂŒbersicht

Bezeichnung: Eingehende Betrachtung der MilitÀrjustiz
Die Autoren : Prof. Dr. Thierry Godel, Assistenzprofessor fĂŒr Recht an der FernUni Schweiz; Nicolas Bloque, Forschungs- und Lehrassistent, Rechtsanwalt an der FernUni Schweiz; Gionata Carmine (extern)
Dauer: 3-4 Jahre
Ziel: Besseres VerstÀndnis des MilitÀrsystems, um die Rechte der Parteien in MilitÀrprozessen zu stÀrken

Assistent/in oder Postdoktorand/in im Privatrecht (50-80 %)

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