Arbeit in einer «Postwachstums»-Logik
Heutzutage gibt es immer mehr Vorschläge, den Wert der Arbeit neu zu überdenken. Warum sollte man also den Wert der Arbeit, anstatt ihn in rein wirtschaftlichen und finanziellen Begriffen zu beurteilen, nicht unter dem Aspekt betrachten, wie sinnstiftend die Arbeit für den Arbeitnehmer oder die Arbeitnehmerin ist oder welchen Wert sie für die Gesellschaft als Ganzes hat?
Beispielsweise wird die Arbeit einer Person, die auf eine Vollzeitbeschäftigung verzichtet, um sich um ihre Kinder oder einen älteren Verwandten zu kümmern, oder die Arbeit eines Krankenpflegers oder einer Lehrerin, nicht im gleichen Masse wertgeschätzt wie die eines Vermögensverwalters. Das vorrangige Ziel des Wachstums ist auch der Grund dafür, dass es der Industrie nicht gelingt, emissionsfreie Flugzeuge herzustellen, oder dass, die meisten Medikamenten Symptome und nicht die Ursache einer Krankheit behandeln. Denn all diese Aktivitäten folgen nicht oder nicht nur der Produktivitätslogik, die sich in den Indikatoren widerspiegelt, die die Schaffung von Wohlstand innerhalb eines Landes erfassen, wie etwa dem BIP. Der Wert, der diesen Aktivitäten im Hinblick auf Wohlbefinden, Gesundheit oder Umwelt innewohnt, erscheint uns offensichtlich – sowohl für die Gesellschaft als auch für die Personen, die sie ausüben möchten.
Im Webinar «Work without Economic Growth? Workers’ Protection in a Greener and Fairer Economy», das vom Dienst Dienstleistungen und Alumni organisiert wurde, beleuchtete Prof. Dr. Nicolas Bueno einige Opportunitätsverluste, die das Wachstumsparadigma mit sich bringt. Anschliessend erläuterte Beryl ter Haar, Professorin für europäisches Arbeitsrecht an der Universität Warschau, die rechtliche Perspektive eines Arbeitsrechts, das sich weniger am Wirtschaftswachstum orientiert. Schliesslich brachte Ruwan Subasinghe, Leiter der Rechtsabteilung der Internationalen Transportarbeiter-Föderation, die Sicht der Gewerkschaften ein, deren Aufgabe es ist, für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer einen fairen Übergang in eine nachhaltigere Wirtschaft zu gewährleisten.
Das bedingungslose Grundeinkommen: eine Möglichkeit, aber kein Allheilmittel
In seiner Arbeit untersucht Prof. Dr. Nicolas Bueno insbesondere, wie das Recht Möglichkeiten für Menschen schaffen kann, um individuell und sozial vorteilhafte Tätigkeiten auszuüben, die die reine Marktlogik nicht hergibt. Derzeit ist das bedingungslose Grundeinkommen einer der bekanntesten Ansätze, um ein Minimum an materiellem Wohlstand von der als produktiv erachteten Arbeit abzukoppeln. Dies gilt insbesondere in der Schweiz, wo die Bürger 2016 über eine Volksinitiative abstimmten, die seine Einführung vorschlug. Auch wenn es sich um einen zu beobachtenden Umverteilungsmechanismus handelt, sollte die Diskussion vor allem auf die Werte abzielen, die die Gesellschaft als Ganzes und Einzelpersonen durch ihre Aktivitäten fördern wollen.
Prof. Dr. Nicolas Bueno
Das Projekt «Repenser les droits du travail dans une ère post-libérale» (Überdenken der Arbeitsrechte in einer postliberalen Ära) von Prof. Dr. Nicolas Bueno war Gegenstand zahlreicher Veröffentlichungen in verschiedenen internationalen Zeitschriften; hierzu zählt der Artikel «From the Right to Work to Freedom from Work»
(Vom Recht auf Arbeit zur Freiheit von der Arbeit) (Marco Biagi Award), der im «International Journal of Comparative Labour Law and Industrial Relations» veröffentlicht wurde, sowie der Artikel «From Productive Work to Capability-Enhancing Work» (Von produktiver Arbeit zu Fähigkeitsverbessernder Arbeit), der im
«Journal of Human Development and Capabilities» erschienen ist, sowie der Artikel «Liberté au travail, par le travail et face au travail» (Freiheit für die Arbeit, durch die Arbeit und angesichts der Arbeit) in der «Revue international du Tribunal». Das Buch «Labour Law Utopias: Post Growth Approaches» wird 2023 im Verlag «Oxford University Press» erscheinen.
Neben dieser Thematik beschäftigt sich Prof. Dr. Nicolas Bueno in seiner Forschung mit Wirtschaftsrecht und wirtschaftlicher Globalisierung, in erster Linie in Bezug auf das internationale Wirtschaftsrecht, Wirtschaft und Menschenrechte, internationales Arbeitsrecht und Volkswirtschaftslehre. Prof. Dr. Nicolas Bueno ist im französischsprachigen Bachelor- und Master-Studiengang in Recht an der FernUni Schweiz für die Module «Droit international public et européen» bzw. «Approfondissement en droit européen» verantwortlich.