Prof. Brosch, in den letzten Jahren hört man immer häufiger von Nachhaltigkeit: grüne Energie, verantwortungsvolle Ernährung etc. Aber was bedeutet es konkret, ein nachhaltiges Verhalten zu übernehmen?
Ein nachhaltiges Verhalten zielt darauf ab, die eigenen Bedürfnisse zu befriedigen und gleichzeitig die Ressourcen für kommende Generationen zu erhalten. Es geht um ein Gleichgewicht zwischen persönlichem Wohlbefinden und kollektiver Verantwortung.
Wie zeigt sich das im Alltag?
Nehmen wir ein Beispiel: Ich bin sehr mobil und reise gerne. Ich möchte mich nicht nur auf Ferien in der Schweiz beschränken, sondern ferne Länder entdecken. Aber das wirft Fragen in Bezug auf Nachhaltigkeit auf: Ab wann wird meine Reisetätigkeit exzessiv? Ab wann schadet sie anderen, insbesondere künftigen Generationen?
Welche Herausforderungen mĂĽssen gemeistert werden, um nachhaltige Verhaltensweisen im Alltag zu verankern?
Zunächst gilt es, die unbestreitbaren Fortschritte anzuerkennen, die bereits erzielt wurden. Doch die Herausforderung bleibt riesig: Die Bemühungen sind noch nicht flächendeckend. Allzu oft werden Verantwortlichkeiten hin- und hergeschoben: die Politik verweist auf die Industrie, die Industrie auf die Politik – ein Teufelskreis. Jeder muss sich seiner Rolle in dieser Transformation bewusst werden.
Warum ist es so schwer, nachhaltige Verhaltensweisen anzunehmen?
Die Menschheitsgeschichte zeigt eine ständige Spannung zwischen der unmittelbaren Bedürfnisbefriedigung und einer längerfristigen Planung. Im Steinzeitalter musste Homo sapiens schnell handeln, um zu überleben. Heute, mit neun Milliarden Menschen auf der Erde, bewegen wir uns in einem wesentlich komplexeren System, in dem Konsum allgegenwärtig ist. Angesichts der Ressourcenerschöpfung und der Klimakrise wird eine langfristige Perspektive jedoch unverzichtbar. Dieser Übergang fällt uns schwer, weil er unseren tief verankerten Instinkten widerspricht.
Sie haben in Ihrem Vortrag erwähnt, dass Psychologie allein nicht ausreicht. Mit welchen anderen Disziplinen sehen Sie fruchtbare Zusammenarbeit?
Die Psychologie ist eine Schlüsseldisziplin, sollte aber ihre Komfortzone verlassen. Eine Zusammenarbeit mit den Umweltwissenschaften könnte z.B. helfen, technische Zusammenhänge besser zu verstehen (etwa: Wie funktionieren Energiesysteme?). Durch ein solches Verständnis könnte die Psychologie gezielter herausarbeiten, wo Verhaltensänderungen möglich sind. Auch Soziologie und Politikwissenschaften spielen eine entscheidende Rolle. In einer Demokratie geht Veränderung über die Wahl von Personen, die diesen Wandel vorantreiben können.
Es bleibt also noch viel zu tun…
Ja, und der Mangel an Information ist ein zentrales Hindernis. Wenige Menschen wissen, welche Massnahmen im Bereich Nachhaltigkeit wirklich am wirksamsten sind. Würden wir es wissen, entstünde Unbehagen. Beispiel: Ich recycle meine Joghurtbecher, esse einmal pro Woche ein Steak und fliege alle zwei Monate. Studien sind eindeutig: Der Verzicht auf Flugreisen ist ein besonders wirksames Mittel gegen die Klimaerwärmung. Dennoch fällt es uns schwer, darauf zu verzichten. Auf emotionaler und motivationaler Ebene fällt es dem Menschen schwer, von Gewohnheiten loszulassen.