Prof. Dr. Nicolas Rothen, die Digitalisierung hat das Prinzip des orts- und zeitunabhängigen Studierens enorm befeuert. Die FernUni Schweiz bietet allerdings schon seit 1992 die Möglichkeit des universitären Fernstudiums an. Wie kam man damals auf diese innovative Idee?
Ich selbst bin zwar erst seit 2018 Teil des FernUni Schweiz Teams. Ich weiss aber, dass die damaligen Verantwortlichen in den 90er-Jahren die frühen Erfolge des Internets nutzten und damit begannen, externe Dozentinnen und Dozenten für ihr Lehrangebot heranzuziehen. Auf diese Weise wollte man eine Alternative zum universitären Präsenzstudium schaffen. Im Vergleich zu heute waren die technischen Möglichkeiten damals natürlich bescheiden. Die heutigen digitalen Tools stützen den Ansatz der FernUni Schweiz ideal: Alles, was man benötigt, um sich ins Studium zu vertiefen, sind ein Laptopcomputer sowie ein Internetanschluss. Gleichzeitig ist das gesellschaftliche Mindset heute deutlich flexibler, was unser Angebot ebenfalls begünstigt.
Inwiefern erachten Sie das Mindset heute als flexibler?
Die Digitalisierung hat unsere Kommunikation asynchroner gemacht. So sind wir es heute gewohnt, mithilfe von E-Mails, WhatsApp-Nachrichten sowie über die sozialen Netzwerke in einen zeitlich versetzten Dialog miteinander zu treten. Die Antwort auf eine Frage erfolgt dabei nicht unverzüglich, sondern erst dann, wenn das Gegenüber Zeit zur Beantwortung des Anliegens gefunden hat. Diese Asynchronität macht auch vor dem Studium nicht halt: An unserer universitären Institution geschieht ein Grossteil des Austauschs versetzt, obschon wir natürlich regelmässig Möglichkeiten für Live-Kommunikation bieten. Dieses Vorgehen hat sich sehr bewährt und passt ideal zum Fächerkanon, den wir anbieten: Disziplinen wie Informatik und Mathematik, Geschichte, Wirtschaft, Recht und Psychologie eignen sich ideal für eine asynchrone Wissensvermittlung. Ein Medizinstudium im Fernstudiums-Modus dürfte hingegen schwieriger zu realisieren sein, da hier der Hands-on-Charakter und damit der Face-to-Face-Austausch unabdingbar sind.
Die FernUni Schweiz steht für den Ansatz des «Blended-Learning». Worum handelt es sich dabei und wie profitieren Ihre Studierenden davon?
Im Kern steht Blended-Learning für eine Kombination aus Online-Lernen und traditionellen Lehrmethoden. Dies bedeutet, dass wir an unserem universitären Institut einerseits grossen Wert auf das Selbststudium legen, wofür unser praktisches Webtool ein ideales Hilfsmittel darstellt. Dies ermöglicht den Studierenden ein hohes Mass an Selbstbestimmung bei der Planung ihrer persönlichen Lernreise. Andererseits setzen wir auch auf klassische Textbücher und auch die Arbeiten, welche unsere Studierenden ablegen müssen, sowie das Niveau der vermittelten Lerninhalte sind mit den Präsenzunis vergleichbar. Und trotz unseres Fokus auf Eigenverantwortlichkeit legen auch wir Wert auf regelmässigen Austausch: Jeweils samstags kommen unsere Studierenden und Dozierenden über Zoom zusammen, um über Fragen und Anwendung der Lerninhalte zu beraten und ihre Eindrücke zu vergleichen. Auf diese Weise regen wir einen spannenden Dialog an und kommen praktisch ganz weg vom klassischen Frontalunterricht. Dieses Prinzip nennt man «Flipped Classroom».
Was darf man sich unter «Flipped Classroom» genau vorstellen?
An den meisten Universitäten und Hochschulen finden sich die Studierenden im Vorlesungssaal ein, gehen mit den Dozierenden den Lernstoff durch und erhalten anschliessend Hausaufgaben. Wir kehren dieses klassische Narrativ des Lernens um: Wir erwarten, dass die Studierenden die Inhalte bereits im Vorfeld der Samstagsvorlesung durchgearbeitet haben. Die Online-Lehrveranstaltung dient dann der Diskussion und der Vertiefung. Dabei werden so lange alle auftretenden Fragen behandelt, bis sämtliche Unklarheiten beseitigt sind. Auf diese Weise ist es uns gelungen, eine erstklassige Diskussionskultur zu schaffen. Natürlich haben wir den Luxus, dass unsere Studierenden im Schnitt etwa 37 Jahre alt sind und bereits über eine Erstausbildung und/oder einen Beruf verfügen. Diese Personen sind freiwillig und aus eigener Motivation in unseren Kursen und dementsprechend motiviert, das Maximum aus ihrem berufsbegleitenden universitären Studium herauszuholen.
Das Vereinbaren von Beruf, Studium und eventuell Familie stellt in organisatorischer Hinsicht eine grosse Herausforderung dar. Wie helfen Sie Fernstudierenden dabei, diese zu überwinden?
Wir legen Wert darauf, dass sich unsere Studierenden bei uns jederzeit eng betreut fühlen. Das ist auch dank der Tatsache möglich, dass unsere Module durch sogenannte «Lehrteams» geführt werden, die jeweils aus einer Professorin oder einem Professor sowie einer Assistenzperson bestehen. Bei Letzteren handelt es sich um wissenschaftliche Mitarbeitende, die bei uns in Kollaboration mit anderen Universitäten ihre Doktoratsausbildung absolvieren. Dank dieses Setups können wir relativ individuell auf die Bedürfnisse der Studierenden eingehen. Darüber hinaus verfügt unser universitäres Institut über die sogenannten «Student Services» – hierbei handelt es sich um einen Single Point of Contact für alle administrativen Fragen und Anliegen.
Fehlt an einer Fernuniversität eigentlich nicht der soziale Aspekt des Studierens?
Nein, für unsere Studierenden stellt dies kein Problem dar, da sie an einer ganz anderen Stelle im Leben stehen, als dies im «klassischen» Präsenzstudium der Fall ist.
Die FernUni Schweiz bietet eine breite Palette an universitären Studiengängen an. Doch auch der Bereich «Weiterbildung» wird abgedeckt. Worauf legen Sie hier Wert?
Richtig, wir bieten praxisrelevante Weiterbildungen in diversen Fachdisziplinen an. Die Palette reicht vom «CAS Datenschutz» über Weiterbildungen im Feld der Wirtschaftspsychologie bis hin zu Angeboten im Bereich der agilen Unternehmenstransformation. Und mit unserem Angebot «Uni60+» bieten wir überdies Kurse für ältere Menschen an, bei denen zuerst die Handhabung von Zoom auf verschiedenen Devices vermittelt wird, bevor dann über Zoom eigentliche Inhalte wie etwa die Optimierung von Gedächtnisleistungen vermittelt werden. Auf diese Weise wollen wir Menschen aller Backgrounds dabei unterstützen, sich neues Wissen anzueignen.
Ist dieser Inklusionsgedanke auch ein Grund dafür, dass das Studienangebot der FernUni Schweiz mehrsprachig verfügbar ist?
Wir sind in der Tat der Ansicht, dass unser Angebot für möglichst viele Menschen zugänglich sein sollte. Darum setzen wir, wo immer möglich und sinnvoll, auf Mehrsprachigkeit. Der Bachelor in Mathematik etwa wird in Englisch durchgeführt, was in diesem Fachgebiet Standard ist und dementsprechend Sinn ergibt. Den Bachelor in Recht wiederum – ein Feld, in dem sprachliche Nuancen deutlich wichtiger sind – bieten wir deshalb sowohl auf Deutsch als auch Französisch an. Wir sind das einzige universitäre Institut in der Schweiz, das ein solches Angebot führt.
Wie reagiert die FernUni Schweiz auf den gesellschaftlichen Wandel und die sich stetig weiterentwickelnde Technologie?
Grundsätzlich kommen uns die aktuellen Entwicklungen sehr entgegen: Digitale Technologien sind etabliert und mit ihrer Nutzung steigt auch die Akzeptanz für unser Fernstudienangebot. Natürlich behalten wir die aktuellen Entwicklungen im Auge, etwa im Bereich der «künstlichen Intelligenz». Dabei kommt uns die Tatsache zugute, dass viele unserer Professorinnen und Professoren sehr technikaffin und damit offen für Innovation sind. Generell sollten wir als Wissenschaftler/innen stets einen offenen Geist bewahren.
Sie sprechen mit der Wissenschaft einen wichtigen Punkt an: Die FernUni Schweiz ist nicht nur ein Ort der Aus- und Weiterbildung, sondern auch der Forschung.
Das ist korrekt und als universitäres Institut sind bei uns Forschung und Lehre eng miteinander verknüpft. Wir lehren unsere Studierenden auch den wissenschaftlichen Ansatz, sprich, wir halten sie zu kritischem Denken sowie dem Hinterfragen von Dingen an. Unsere eigene Forschung ist vergleichsweise klassisch aufgestellt und orientiert sich an unserem Studienangebot. So forschen wir an unserem Institutionshauptsitz in Brig unter anderem zu Fragen der Umwelt- und Energieökonomie, gehen Differenzialgleichungen nach und betreiben ein Virtual-Reality-Labor.