Ein vom Schweizerischen Nationalfonds (SNF) finanziertes Forschungsprojekt an der Fakultät Psychologie der FernUni Schweiz, initiiert und geleitet durch Dr. Alodie Rey-Mermet, wurde lanciert. Im Rahmen dieses Projekts soll festgestellt werden, ob es möglich ist, zuverlässige und valide Messungen der Aufmerksamkeitskontrolle zu etablieren. Ohne solche Messungen kann man nicht zu soliden Erkenntnissen darüber gelangen, wie Einzelpersonen oder Personengruppen ihre Aufmerksamkeit steuern und in welchen Situationen dieser kognitive Prozess erfolgreich aktiviert wird.

Wozu ist es nützlich, zu verstehen, wie Menschen ihre Aufmerksamkeit steuern und in welchen Situationen dieser Prozess erfolgreich aktiviert wird?

Aufmerksamkeitskontrolle, Aufmerksamkeitssteuerung und exekutive Funktionen sind unterschiedliche Begriffe, die sich allgemein auf die Fähigkeit beziehen, unsere Gedanken sowie Handlungen zu überwachen und zu steuern, um unsere aktuellen Ziele zu erreichen. Diese Fähigkeit zur Kontrolle bzw. Steuerung gilt als wesentlich, da sie es uns ermöglicht, uns schnell und flexibel an Veränderungen in unserer Umgebung anzupassen. Das Verstehen der Aufmerksamkeitskontrolle wird daher als zentrale Voraussetzung für das Verständnis des menschlichen Verhaltens betrachtet.

Könnten Sie uns hierzu ein konkretes Beispiel nennen?

Stellen Sie sich vor, Sie fahren mit dem Auto nach Hause. Da Sie den Weg kennen, fahren Sie zwar zügig, aber sicher. So können Sie langsamer fahren, wenn Sie sich einer roten Ampel nähern. Wenn Sie jedoch einen Polizisten an der Kreuzung sehen, sind Sie in der Lage, die rote Ampel zu ignorieren und den Anweisungen des Polizisten zu folgen. Der entscheidende kognitive Prozess hinter einer solchen Anpassungsfähigkeit ist die Aufmerksamkeitskontrolle. Diese ermöglicht es Ihnen, selbst dann, wenn eine Ablenkung (z. B. durch die rote Ampel) vorliegt, die für Ihr Ziel relevanten Informationen (d. h. die Anweisungen des Polizisten, um schnell und sicher nach Hause zu kommen) zu erfassen. Im Labor werden diese Situationen extrem vereinfacht. Eine häufig verwendete Messung ist der «Stroop-Effekt». Um diesen Effekt zu messen, werden Farbwörter farbig geschrieben. Dabei wird das Wort «grün» beispielsweise in roter Farbe geschrieben. Die Teilnehmenden müssen nun die Farbe, in der das Wort geschrieben ist, benennen und dabei die Bedeutung des Wortes ignorieren. Im Beispiel des rot dargestellten Wortes «grün» lautet die richtige Antwort also «rot». Der «Stroop-Effekt» beschreibt die Tatsache, dass man länger braucht, die richtige Antwort zu geben, wenn das Wort «grün» in roter Farbe dargestellt ist, als wenn das Wort «rot» in roter Farbe dargestellt ist.

Wie sind Sie auf die Idee für dieses Projekt gekommen?

In meinen früheren Studien habe ich die Grenzen der typischen Messungen von Aufmerksamkeitskontrolle, wie z. B. des «Stroop-Effekts», aufgezeigt. Diese Messungen weisen einen Mangel an Zuverlässigkeit und/oder Validität auf. Der Mangel an Zuverlässigkeit bedeutet, dass die Ergebnisse bei der gleichen Person bei verschiedenen Durchführungen stark variieren können. So kann der «Stroop-Effekt» bei derselben Person in einem Moment stark und nur wenige Augenblicke später schwach ausgeprägt sein. Der Mangel an Validität bezieht sich darauf, dass die bisher durchgeführten Messungen zur Untersuchung der Aufmerksamkeitskontrolle es nicht erlauben, diesen kognitiven Prozess genau zu messen. Beim «Stroop-Effekt» ist es beispielsweise schwierig, die Aufmerksamkeitskontrolle von anderen Prozessen wie der Geschwindigkeit, mit welcher Farbwörter verarbeitet werden, zu isolieren. Wenn mehrere Aufgaben zur Messung der Aufmerksamkeitskontrolle angewandt werden, korrelieren diese Messungen zudem nicht. Dies macht deutlich, dass diese Aufgaben nicht den gleichen kognitiven Prozess messen, wodurch sich die Frage stellt, welchen Prozess sie also tatsächlich messen.
Es ist wichtig, darauf hinzuweisen, wie schwierig es ist, die Aufmerksamkeitskontrolle zuverlässig und valide zu messen. Weit wichtiger ist es jedoch, die Gründe für diese mangelnde Zuverlässigkeit und Validität zu verstehen. Das Ziel dieses Forschungsprojekts ist, diese Gründe zu bestimmen. Auf diese Weise kann festgestellt werden, ob zuverlässige und valide Messungen etabliert werden können oder ob man sich von diesem Konzept verabschieden muss, um interindividuelle Unterschiede, wie den altersbedingten kognitiven Abbau oder den kognitiven Vorteil zweisprachiger Menschen, zu erklären. 

Weshalb ist es so schwierig, die Aufmerksamkeitskontrolle zu messen?

Die Messung der Aufmerksamkeitskontrolle ist schwierig, weil die dafür üblicherweise verwendeten Aufgaben nicht nur diesen kognitiven Prozess, sondern eine Vielzahl von Prozessen messen. Betrachten wir das Beispiel der Aufgabe zur Messung des «Stroop-Effekts». Bei dieser Aufgabe nehmen wir zunächst das gezeigte Wort wahr. Anschliessend verarbeiten wir seine Farbe und seine Bedeutung, wodurch die farbbezogene sowie die bedeutungsbezogene Antwort aktiviert werden. In diesem Moment sollte die Aufmerksamkeitskontrolle ins Spiel kommen und dafür sorgen, dass wir die richtige Antwort auswählen, indem wir unsere Aufmerksamkeit auf die Farbe des Wortes richten und seine Bedeutung ignorieren. Schliesslich führen wir die gewählte Antwort aus, d. h. wir sprechen sie aus. Um die Aufmerksamkeitskontrolle messen zu können, muss man folglich diesen kognitiven Prozess von allen anderen Prozessen isolieren, indem man beispielsweise einen strengen experimentellen Ansatz, fortgeschrittene statistische
Analysen oder eine Kombination beider anwendet.

Welche Arten von Experimenten werden Sie durchführen, um die Ziele Ihres Forschungsprojekts zu erreichen?

Das Projekt umfasst mehrere Forschungsschwerpunkte. Einer davon ist die Frage, ob die Schwierigkeit, zuverlässige und valide Messungen der Aufmerksamkeitskontrolle zu etablieren, auf die Vielfalt der verwendeten Aufgaben zurückzuführen ist. Im Vergleich zu anderen kognitiven Prozessen unterscheiden sich die Aufgaben zur Messung der Aufmerksamkeitskontrolle in ihren Anweisungen und in der Art und Weise, wie die Aufmerksamkeitskontrolle initiiert wird. Bei einem weiteren Forschungsschwerpunkt geht es darum, zu verstehen, inwieweit die bisher angewandten Messungen von anderen kognitiven Prozessen wie dem Gedächtnis sowie der Verarbeitungsgeschwindigkeit und von der intraindividuellen Variabilität kognitiver Prozesse beeinflusst werden.

Dr. Alodie Rey-Mermet

Dr. Alodie Rey-Mermet ist seit 2020 Postdoc an der Fakultät Psychologie. Sie beschäftigt sich vor allem mit der Funktionsweise der Aufmerksamkeitskontrolle, d. h. mit der Fähigkeit, unsere Gedanken und Handlungen zu überwachen sowie zu steuern, um unsere Ziele zu erreichen. Dr. Alodie Rey-Mermet ist ausserdem Lehr- und Forschungsassistentin der Forschungsgruppe für experimentelle Psychologie und kognitive Neurowissenschaften. Sie lehrt Psychologie in den deutschsprachigen Bachelor-und Master-Studiengängen.

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