Sabine Pitteloud, Assistenzprofessorin für Zeitgeschichte an der FernUni Schweiz, entwickelt ein Forschungsprogramm, das die Zusammenhänge zwischen Unternehmen und Umweltregulierung nach 1945 untersucht. Im Herbst 2024 erhielt sie eine Finanzierung vom Schweizerischen Nationalfonds, um ihre Arbeiten zu diesem Thema fortzusetzen. Vor diesem Hintergrund werfen wir einen Blick auf ihre bisherigen Forschungsergebnisse und ihre Relevanz für die künftigen Debatten.

Ein wesentlicher Teil der Arbeit von Historikerinnen und Historikern besteht darin, historischen Perioden Bedeutung zu verleihen. 2019 schien die «grüne Welle» ein zunehmendes Bewusstsein für Klimafragen anzukündigen, während die politischen Verpflichtungen heute eher stagnieren. Überrascht Sie diese Kehrtwende? 

SP: Die Umweltgeschichte stellt die Vorstellung infrage, wir hätten lange Zeit unwissentlich verschmutzt und erst ab den 1970er-Jahren erkannt, dass es Probleme gibt – und begonnen, sie durch Grenzwerte oder neue grüne Technologien zu lösen. Zusammen mit meiner Kollegin Tiphaine Robert zeigen wir, dass die Giftigkeit von Blei bereits in den 1920er Jahren bekannt war. Die Schweiz verbot zunächst bleihaltiges Benzin, hob das Verbot aber 1947 unter Einfluss der Industrie und internationaler Normen wieder auf. Sobald eine schädliche Substanz einmal breit genutzt wird, ist es ausgesprochen schwierig, diesen Einsatz wieder rückgängig zu machen. 

Die Schweiz gilt dennoch als Vorreiterin in Umweltfragen. Muss man diesen Ruf relativieren? 

SP: Ja, auch wenn die Schweiz manchmal innovativ war, blieb sie von industrieller und landwirtschaftlicher Verschmutzung nicht verschont. Forschungen, die in der Ausgabe Nouvelles normes, surtout pas de panique! der historischen Zeitschrift Itinera veröffentlicht wurden, zeigen zudem, dass Föderalismus, politische Blockaden und Strategien der Unsichtbarmachung die Wirkung von Regulierungen häufig eingeschränkt haben. Wir regen daher dazu an, das Bild eines stets vorbildlichen Landes zu überdenken. 

Ihr neues Projekt nimmt eine vergleichende Perspektive zwischen verschiedenen Ländern ein. Was trägt dieser Ansatz zum Verständnis der Rolle von Unternehmen bei? 

SP: Der Vergleich macht die institutionellen Besonderheiten sichtbar. Die direkte Demokratie in der Schweiz ermöglichte es den Umweltbewegungen der 1970er-Jahre, Initiativen zu lancieren, die diese Fragen öffentlich politisierten und vorübergehend den Einfluss der Wirtschaftsakteure schwächten. Doch solche Abstimmungen können den Eindruck erwecken, das Problem sei gelöst, obwohl die Belastungen weiterbestehen. 

Auf internationaler Ebene waren in den 1970er-Jahren die Vereinigten Staaten führend in der Umweltregulierung. Unternehmen, die auf mehreren Märkten tätig waren, fürchteten eine Zersplitterung der Normen. Gemeinsam mit meiner Kollegin Sandra Bott und meinem Kollegen Janick Schaufelbuehl von der Universität Lausanne zeigen wir, dass die Wirtschaftsakteure nie passiv waren: Sie finanzierten Studien, betrieben Lobbyarbeit und Kommunikation und pflegten institutionelle Partnerschaften – selbst in den nordischen Ländern. 

Heute denkt man beim Widerstand gegen umweltpolitische Massnahmen meist an grosse Ölkonzerne. Doch insbesondere in den USA lässt sich beobachten, dass auch kleine und mittlere Unternehmen eine wichtige Rolle in der konservativen Bewegung spielten. Sie trugen dazu bei, eine Haltung zu verbreiten, die Fortschritten im Umweltschutz entgegensteht. 

In den vergangenen Jahren haben sich viele junge Menschen stark für das Klima engagiert. Wie lassen sich diese Aktionen historisch einordnen? 

SP: Die Geschichte hilft uns, zwischen einem Etappensieg und einem strukturellen Wandel zu unterscheiden. Wenn ein Unternehmen auf Mobilisierung mit freiwilligen Massnahmen der sozialen Verantwortung reagiert, kann dies den Eindruck eines Erfolgs vermitteln – doch ohne Kontrollmechanismen bleibt die Wirkung ungewiss. Schon in den 1970er-Jahren nahmen Unternehmen den Aktivismus sehr ernst: nicht aus Reputationsgründen, sondern weil sie rasche und verbindliche politische Entscheidungen fürchteten. 

 

Und wie gestaltet sich heute das Machtverhältnis zwischen Aktivismus und Unternehmen? 

SP: Gemeinsam mit meinem Kollegen, dem Historiker Peter van Dam, beobachten wir einen Wettbewerb darum, wer im Namen des Gemeinwohls spricht. Unternehmen verfügen aufgrund von Arbeitsplätzen und Steuereinnahmen über eine hohe politische Legitimität und haben gelernt, einen Teil der Kritik durch Partnerschaften mit NGOs oder eigene Umweltprogramme zu vereinnahmen. 

Deshalb ist es selbst bei Abstimmungen keineswegs selbstverständlich, dass Bürgerinnen und Bürger «gegen die Wirtschaft» stimmen, auch wenn die Gegenseite häufig Argumente sozialer und ökologischer Gerechtigkeit hervorhebt. Diese Tendenz, wirtschaftliche Interessen mit dem nationalen Interesse gleichzusetzen, gab es bereits früher. 

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